Musi

Ich bin früh wach und laufe, noch leicht schlaftrunken, erwartungsvoll auf den Balkon. Dicke Wolken wabern tief im Tal, es regnet nicht, aber das Wetter sieht keinesfalls freundlich aus. Beim Frühstück um halb Acht spricht Pidder (hat wohl schon zwei Kaffee getrunken!): "Wir gehen heute nicht auf die Sajathütte!" Weil er viel mehr nicht sagt, gehe ich - leicht enttäuscht - vors Haus und schaue nach oben Richtung Sajatkar. Man sieht es kaum! Dunkle Wolken hängen tief im Kar. "Ich würde es zumauern!", sagt Albert, der meinen Blicken folgt, zum wiederholten Male. In der Tat: Wenn es Wolken gibt, klumpen sie über den Sajatköpfen besonders dunkel und drohend zusammen. Aber auch ringsumher ist kein Stückchen Blau zu entdecken. Wirklich kein Wetter für eine größere Tour!

"Wir gehen morgen!", sagt Pidder tröstend, als wir uns später bei Kaffee und Zigarette auf der Bank vorm Haus treffen. Wir hängen alle etwas unschlüssig herum und schauen versonnen in den Himmel, als könnte der uns auf die Sprünge helfen. Ich will auf keinen Fall den ganzen Tag hier sitzen. "Lass uns doch auf die Bodenalm gehen!" schlage ich vor. Diesen Ort habe ich schon mal als "Nabel der Welt" bezeichnet, besser gesagt, den Parkplatz etwas unterhalb, weil dort so viele Touren beginnen, die ich von Pidders Homepage kenne. Für einen so zentralen Platz sieht der Parkplatz reichlich unspektakulär aus! Aber angenehm ist es schon, wenn man sich ein Stück Weg sparen kann, vor allem dann, wenn das Ziel doch etliche Höhenmeter weiter oben liegt.

Wir verabreden uns für den frühen Nachmittag. Vorher fahren Hannah und ich nach Prägraten um einzukaufen. Nochmal kurz ins Tourismusbüro, dort  interessiert sie der Rechner, der im Foyer des Gemeindeamtes steht. Dort kann man herrlich herumspielen, Hütten und Berge anklicken und sich viele interessante Informationen auf den Bildschirm rufen. Ich habe immer ein leicht mulmiges Gefühl, wenn sie an dem Ding steht. Sie hat ja schon mit vier Jahren am PC gesessen und seither einiges gelernt - ich traue ihr zu, dass sie mit ihrer angeboren Neugier samt Spieltrieb das ganze Ding "himmelt". Weil ich Pregler und Marillenschnaps kaufen möchte, muss ich sie schnell von ihrem Spielzeug loseisen.

Außerdem wollen wir pünktlich zurück sein - Verabredung mit Pidder! Den bewundert sie, seit er ihr - lange bevor wir das erste Mal nach Hibi fuhren - erklärt hat, wie ein Kompass und ein Höhenmesser funktioniert oder wie man die Teleskop-Stöcke richtig hält. Für ihn hat sie auch einen Schatz versteckt - und ihm stolz eine Schatzkarte überreicht, Anhaltspunkt für die Schatzsuche. Die Karte haben wir oben auf unserem Balkon vorsichtig angeflämmt, um sie auf alt zu trimmen - und ich hatte entsetzliche Bauchschmerzen dabei, denn auf dem Holzbalkon eines Holzhauses Papier anzuzünden, entspricht ja nun nicht ganz der "political correctness"!!! Aber alles ging gut. Wir haben uns auch lange Gedanken gemacht, wie wir den Text formulieren, der Pidder auf die richtige Spur bringen soll. Sogar den Johannes auf der Islitzer Alm haben wir eingespannt, der musste ihm die Folgekarte überreichen. Aber Johannes hat begeistert mitgemacht - und die Erstausgabe der Schatzkarte hängt jetzt dort an der Wand! Pidder allerdings musste doch reichlich Hilfestellung von Hannah in Anspruch nehmen, ehe er in die Nähe des Schatzes kam. Der war natürlich auf dem Grundstück des Gästehauses versteckt! Fatalerweise im Heu - und es soll ja Leute geben, die auf Heu mit heftigen Allergien reagieren! Aber alles ging gut - und ich denke, der Obstler, den ich dem von Hannah zusammengestellten "Überlebens-Schatz" beigefügt habe, hat dann doch alle Beteiligten milde gestimmt! Hannah jedenfalls spürte einen Hauch von Abenteuer - und damit war Sinn und Zweck der Aktion erfüllt.

Wir kommen tatsächlich rechtzeitig zurück - und fahren gemeinsam zum besagten Parkplatz. Gemächlich laufen wir über den Fahrweg zur Bodenalm hinauf. Ich erinnere mich an meinen ersten Weg dort hinauf: In Strömen hat es geregnet - und ich habe das erste Mal diesen Urlaub verflucht, in dem es - für mich ungewohnt - immer nur bergauf geht. Ich weiß auch noch gut, wie sehr ich nach Luft ringen musste, ungeübt und untrainiert. Na ja - nach Luft ringe ich nun nicht mehr, aber trotzdem bin ich gut außer Atem! Pidder und Gabi laufen neben uns her, als würden sie einen gemächlichen Spaziergang machen! Mir wird wieder schmerzlich bewusst, dass meine Kondition.... Vielleicht ist es besser, von Kondition gar nicht zu reden! Ich kann Pidder vom Gesicht ablesen, dass er sich Gedanken macht, wie er mich morgen auf die Sajathütte "schieben" soll! Aber da ich ja schon einiges in diesem denkwürdigen Urlaub überstanden habe, nehme ich mir die Freiheit, über seine nicht ausgesprochenen Sorgen zu grinsen! Ich weiß auch nicht, ob ich nicht kurz vor meinem Traumziel schlapp mache - aber ich vertraue meinem frisch entwickelten Ehrgeiz! Ich will da hoch - und ich komme auch da hoch, und wenn es Jahre dauert!

Das Wetter hält! Wir können vor der Hütte sitzen. Ich überlege, dass ich die Bodenalm wirklich nur im Nebel kenne - und freue mich, als der Himmel aufreißt und tatsächlich die Sonne herauskommt. Wir sind heute alle faul. Wir genießen die Sonnenstrahlen, die ersten an diesem Tag - und reagieren ausgesprochen langsam, als sich über uns der Himmel wieder zuzieht! Hannah bekommt noch ein Eis - und dann fällt uns ein, dass wir lieber aufbrechen sollten. Zu spät! Wir gehen etwa 20 Schritte - und dann holen uns die Wolken ein! Immer heftiger perlt der Regen vom Himmel - und als wir am Auto auf dem berühmten Parkplatz ankommen, sind wir gut nass! Pidder hat im Auto alle Mühe, den Beschlag von den Scheiben fernzuhalten, so sehr dampfen wir! Egal! Ein "Bergsteiger" muss aushalten können, auch mal nass zu werden!

Als wir in unserem gemütlichen Urlaubsdomizil eintreffen, streift uns dort eine nicht sofort erfassbare Hektik. Es dauert eine Weile, ehe wir herausbekommen, dass an diesem Abend die "Musi" spielen soll. Gisi und Sepp, die uns mit auf die Bergerseehütte genommen haben, spielen zu Hause im Osten Österreichs in einer Folkloregruppe. Vor ein paar Tagen schon sind die anderen Mitglieder auch in Hibi eingetroffen - und wir haben hin und wieder ein paar Klänge erhascht. Das ganze Ensemble hat sich zu einer Mischung aus Übungsklausur und Urlaub getroffen. Das heißt: Sie üben vormittags und machen nachmittags eine kleine Bergtour - und umgekehrt. Keine schlechte Idee. Mehrfach haben die nicht beteiligten Gäste an die Gruppe den Wunsch herangetragen, doch mal "aufzutreten", also abends zu spielen, wenn alle anwesend sind!

Genau das passiert heute Abend. Wir müssen uns sogar beeilen, wollen rechtzeitig vom Abendessen zurückkehren. Zum Islitzer begleitet uns außer Pidder und Gabi auch Thomas, den ich von Pidders Erzählungen und Berichten auch schon "kenne". Er stammt aus Frankfurt am Main und ist ein begeisterter Hobbydichter. Seine Werke kenne ich noch nicht - und befürchte auch, dass ich sie nie kennenlernen werde, denn meine Tochter versetzt den armen Kerl in starres Entsetzen. Sie will wissen, wo er herkommt, und als er sie raten lässt, konstatiert sie entschlossen, sie würde ihn locker der Türkei zuordnen! Der arme Kerl reißt die Augen auf, als hätte sie ihn dem Leibhaftigen persönlich auf den Schoß gesetzt und kann unser unvermeidliches Gejohle nur mühsam mit Fassung ertragen. Nach dem Essen muss die Kellnerin unserer Fröhlichkeit mit gleich zwei Runden Moaschdawurz Tribut zollen. Das ist der Hausbrand mit dem unaussprechlichen Namen, der auf den ersten Schluck ein wenig merkwürdig schmeckt, dann aber doch recht genüsslich die Kehle hinunter rinnt.

Lachend fallen wir im Gästehaus ein - und finden im Aufenthaltsraum kaum Platz, weil die Instrumente teilweise sehr ausladend sind. Gisis "Hackbrett", Sepps Geige, eine Zither und zwei Gitarren. Erwartungsvoll drängen wir uns auf Stühlen und Bänken zusammen - und dann legen sie los. Gefällige Weisen aus ihrer Heimat, sehr akkurat gespielt, stimmig im Rhythmus - ich bin beeindruckt. Wir spenden verdienten Beifall, nach einigen weiteren Stücken gibt es für alle ein Schnapserl.

Der junge Gitarrist hat schon gehört, dass Pidder Gitarrero-Qualitäten hat und drängt ihm die Gitarre in die Arme. Vom Blatt spielt er das nächste Stück mit - und fällt zumindest nicht negativ auf. Der andere holt nun seine Bassgeige heran, jetzt gewinnt das ganze Ensemble noch mehr an Klang. Ich versuche, einen Blick auf die Noten zu werfen, will herausbekommen, wie schwierig der Geigenpart ist. Irgendwie juckt es mich - dabei habe ich seit mehr als 20 Jahren keine Violine mehr in der Hand gehabt! Ehe ich noch lange überlegen kann, habe ich schon das Instrument am Hals und soll mitspielen. Himmel - ich kann die Noten schon gar nicht mehr lesen. Ich muss mich bei Sepp vergewissern, wie man den einen oder anderen Ton greift - aber dann dämmert es mir wieder. Ich darf ein paar Takte üben, dann muss ich es können.

Na ja! Das erste Stück kriege ich mit Ach und Krach hin - beim zweiten allerdings verheddere ich mich haltlos. Ich muss absetzen und hören, wo die anderen sind. Gar nicht so einfach, wenn man das Stück nicht kennt. Es dauert eine Weile, aber immerhin kann ich die letzten fünf Takte noch à tempo mitspielen. Oberste Orchester-Regel: Faden verloren, schlimm genug, aber am Schluss müssen alle wieder da sein!

In Originalbesetzung gibt es noch ein Abschluss-Stück, dann will der Gitarrist Blues hören! Pidder, der Oberblueser ziert sich - und ich brülle von hinten ungeduldig: "I've got the Blues, Babe!" Na wunderbar, der alte Feld-Wald-Wiesen-Blues geht immer! Der andere Gitarrist fällt ein, und es zeigt sich, dass er auch ganz behände über das Griffbrett turnt. Pidder rächt sich und stimmt Claptons "Wonderful tonight" an, mein Lieblingslied. Natürlich muss ich mitsingen - und das klappt dann doch wesentlich besser als das Geigen!

Irgendwie sind plötzlich Liederbücher auf dem Tisch aufgetaucht, alles sucht hektisch nach allen bekannten Titeln, als plötzlich ein Jodler verlangt wird. Erstaunen rundherum - und dann stellt sich heraus, dass der Poet nicht nur dichten, sondern auch vorzüglich jodeln kann! Das stellt er bei "Heidi" gebührend unter Beweis - und weil alle plötzlich noch einen Obstler vor sich stehen haben, werden bei der Auswahl der nächsten Lieder keine allzu anspruchsvollen Maßstäbe mehr angelegt. Vom "griechischen Wein" über den "Liebeskummer", der sich nicht lohnt, kehren wir zurück zu "Lay down, Sally" und "Tears in Heaven", ehe "Über den Wolken" die Freiheit grenzenlos wird und wir uns an fast allem versuchen, was wir textlich und instrumental irgendwie hinkriegen können. Alles wunderbar schräg, alles lustig, alles lieb! Keiner, der nicht großen Spaß hätte! Mit "Gute Nacht, Freunde" endet diese unvorhersehbare Session - aber auch nur, weil Mitternacht schon vorbei ist - und alle am nächsten Tag wieder früh in die Berge wollen!

Zum 19. Tag

Tag 18: 28.Juli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fotos: Peter M. Faisst(4)

Ein wunderbarer Abend: feucht, fröhlich, musikalisch

 

Die Instrumente passen kaum in den kleinen Raum