Beam me up, Scotty!

Seit 36 Jahren gleitet das Fernseh-Raumschiff "Enterprise" durch unerforschte Galaxien. Weltweit feiern rund 40 Millionen Anhänger immer wieder den "Star-Trek"-Geburtstag - und in den USA startet eine brandneue Serie, in der die Crew gut 150 Jahre vor Captain Kirk das Beamen ausprobiert

An 365 Tagen im Jahr, zu jeder Stunde, lässt angeblich irgendein Fernsehsender auf der Welt die "Enterprise" unendliche Weiten im All erforschen. Solche "Wahrheiten" verbreiten in Rekorde verliebte Amerikaner gerne. Man sieht es ihnen nach, wenn's nicht exakt stimmt. Tatsache ist, dass fast jedes Kind Captain Kirk und Mr. Spock kennt - und das Raumschiff sowieso. 36 Jahre lang geistern die wechselnden Besatzungen der "Enterprise" nun schon durch die Wohnzimmer und über Kinoleinwände. Ein Ende ist nicht absehbar. Wobei zumindest in Deutschland keine andere Crew an Bord solchen Ruhm genoss wie das Team um James T. Kirk (William Shatner), den Vulkanier Mr. Spock (Leonard Nimoy), Dr. "Pille" Leonard Mc Coy (DeForest Kelly) und nicht zuletzt Chef-Ingenieur Montgomery Scott (James Doohan). Sie waren die Pioniere, die in den sechziger Jahren Weltraumabenteuer gesellschaftsfähig machten. "Beam me up, Scotty" avancierte zum Kultspruch.

Dabei war ihr Start zunächst missglückt. Genau genommen wurde der Countdown abgebrochen. 1965 lehnte der US-Fernsehsender NBC den Pilotfilm zur Serie "Star Trek" kurzerhand ab. "Zu anspruchsvoll" fanden die Programmmacher das Konzept von Gene Roddenberry. Der Autor und Produzent hatte eine Science-Fiction-Serie entwickelt, die Menschen in eine friedliche Zukunft schickte, in eine erstrebenswerte Welt. Nicht ohne Waffen zwar, aber total defensiv und mit Forschungsauftrag. Ungewohnt in einer Zeit, als Laserpistolenduelle im All nur die Wild-West-Kämpfe der Prärie variierten. Nach einer Neubearbeitung hob die "Enterprise" 1966 endlich ab, doch die Serie erntete magere Quoten und wurde drei Jahre später abgesetzt.

Dann kam der 21. Juli 1969: Astronaut Neil Armstrong betrat als erster Mensch der Welt den Mond. Der Weltraum rückte näher an die Erde. Auf einmal wollte Amerika neue Helden sehen, die fremde Welten und unbekannte Zivilisationen entdecken. Viele regionale Fernsehstationen kramten Kirk und Konsorten aus dem Archiv und spendierten dem Raumschiff mit den gefälligen Rundungen gute Sendeplätze. Es dauerte nicht lange, dann erfasste das Star-Trek-Fieber die Vereinigten Staaten. Bald war alle Welt infiziert, entsprechend boomte auch der Handel mit Devotionalien wie Laserpistolen und All-Uniformen.

1972 kamen die Deutschen im ZDF erstmals in den Genuss von "Raumschiff Enterprise". Seitdem gab's weitere Serien mit etlichen Staffeln: 1987 startete "Star Trek: Das nächste Jahrhundert" mit Captain Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) und dem ersten Offizier William T. Riker (Jonathan Frakes). Sie wurde in den USA schnell zur bis dato erfolgreichsten Serie der amerikanischen TV-Geschichte. Bis 1994 wurden sieben Staffeln mit 178 Episoden produziert, die weltweit ihr Publikum fanden und finden. 1992 folgte "Star Trek: Deep Space Nine" mit Captain Benjamin Sisko, und in "Star Trek: Voyager" (1995) kommandierte mit Captain Kathryn Janeway erstmals eine Frau das Raumschiff - was nicht nur Begeisterung auslöste.

Das Picard-Team kam wie Kirk auch zu Kino-Ehren und gilt inzwischen als legitimer Nachfolger der Ur-Crew, die endgültig abtreten musste, als die alternden Schauspieler immer schlechter in die hautengen Raumanzüge passten. Trotzdem schaute Mr. Spock gelegentlich auch bei Picard vorbei. Dank Roddenberrys begnadetem Einfall, den Vulkaniern ein fast endlos langes Leben zu schenken, ließ sich das smarte Spitzohr mühelos in spätere Drehbücher einbauen.

Picard spielt auch im zehnten Kinofilm die Hauptrolle, an dem Paramount zurzeit noch arbeitet. In "Star Trek: Nemesis" (Arbeitstitel) dreht sich alles um Klonen und Gentechnik, außerdem sollen die "Romulaner" ihrem Image als Mega-Schurken auch auf der Leinwand Ehre machen. Die wachsende Fangemeinde des Sternentrips hat bisher alle Einfälle immer neuer Autorenteams relativ klaglos hingenommen, doch die brandneue TV-Serie, die im amerikanischen Fernsehen vergangene Woche angelaufen ist, versetzt die "Trekkies" in aller Welt in helle Aufregung. Unter dem schlichten Titel "Enterprise" versinkt die Handlung nämlich in grauer Vorzeit. Captain Jonathan Archer (Scott Bakula) fliegt los, bevor alles begann: Gut 150 Jahre vor Kirk, immerhin im 22. Jahrhundert. So ein Vorläufer als Nachfolger hat Nachteile: Die "Warp-Technologie", mit der die "Enterprise" schneller als Licht fliegen kann, ist gerade erst entwickelt, entsprechend ungeschickt gehen die Ingenieure mit ihr um. Motto: Versuch macht klug! Es gibt keine Touch-Screens, nur Schalter und Knöpfchen. Hard- und Software für das legendäre "Beamen" steckt ebenfalls in der Beta-Phase, was Neugier weckt, wie wohl ein "schwerer Ausnahmefehler" aussieht, wenn Menschen gerade in ihre Moleküle zerlegt werden.

Als die Paramount Studios mit diesen Serienplänen an die Öffentlichkeit gingen, versanken sie förmlich in einer Protest-Flut aus Anrufen, E-Mails und Briefen der Fans. Mittlerweile ist die erste Wut der weltweit rund 40 Millionen Star-Trek-Fans aber in gemäßigte Neugier umgeschlagen. Die deutschen "Trekkies" warten ab, wann ihnen Sat.1 den Vorläufer-Nachfolger auf deutsch präsentieren wird.

Die rund 150000 organisierten Fans in Deutschland haben ohnehin genug zu tun, Jahr für Jahr Geburtstag zu feiern. In vielen großen Städten wird zum "Star Trek Dinner" geladen. In Hannover ist Star-Trek-Club-Vorsitzender Oliver Büsing seit seiner Kindheit dem Enterprise-Kult verfallen: "Selbst meine Frau und die Kinder haben selbstgeschneiderte Uniformen!" sagt er. Sein Vereinskollege Michael Slapnicar hat, obwohl erst 24 Jahre alt, schon rund 20 000 Mark für die Sternentripsucht geopfert: "Ich besitze alles, was je auf den Markt gekommen ist: Uniformen, Laserpistolen, Videos." Fehlt nur, dass Scotty ihn endlich upbeamt.

©imke habegger 2002

 

Käptn Kirk

 

 

Mr. Spock