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Das Moorhuhn-Fieber ist nicht gesunken

Mühsam war die Direktpirsch auf „Moorhuhnjagd 2“, sehr mühsam. Alle PC-Jäger, die gern als erste in neuer Spielumgebung ihre Büchsen laden wollten, hatten das Nachsehen, weil sie im Stau stecken blieben. Im Datenstau. Erst am nächsten Tag kamen mehr durch, aber dann richtig. Gut 2,5 Millionen Kopien zogen die Moorhuhn-Liebhaber in knapp zwei Tagen aus dem Netz, zwei Tage später waren bereits 4,5 Millionen Kopien in Umlauf. Damit gerät die Jagd auf die lang angekündigte Nachfolgeversion der „Virtuellen Moorhuhnjagd“ zu einer der größten Download-Aktionen, die das deutsche Internet erzittern lässt. Die „Moorhuhnjagd“ ist ein simples Computerspiel. Es geht darum, treudoof dreinblickende Moorhühner mit einer eingebauten Flinte abzuschießen und damit möglichst hoch zu punkten. Ein Ballerspiel, aber eins mit Witz und Charme. Zu Jahresbeginn erreichte es Kultstatus, Millionen von Moorhuhnjägern machten die Entwicklungsfirma berühmt.
Die Entwicklungsfirma ist der Bochumer Software-Hersteller Phenomedia AG, und die war dieses Mal durchaus auf die Nachfragen der Moorhuhnjäger vorbereitet. Gemeinsam mit dem Softwaretester und Download-Anbieter Computer Channel, einer Tochter von Gruner+Jahr, und der Ision Internet AG, die für die Herunterlade- und Webserver-Technologie verantwortlich zeichnete, hatte sie Kapazitäten gebündelt, um Staus beim Run auf die Webseite www.computerchannel.de zu vermeiden. Dort kann das aufgepeppte Spiel, das nichts kostet, heruntergeladen werden. Als sich abzeichnete, dass die Nachfrage alle Erwartungen übertraf, wurden noch mehr Server zusammengeschlossen und auch der Übergang zum Leitungsnetz von T-Online bereits früher geschaltet als geplant. Danach konnten etwa 40000 Anwender gleichzeitig auf die Seite mit dem begehrten Spielchen zugreifen. Trotzdem waren am Moorhuhn-Sonntag ganze Netzstrecken völlig in die Knie gegangen, so dass die fiebernden Fans schon weit vor ihrem Ziel enttäuscht aufgeben mussten.

Schnelle Reaktion

Für Phenomedia-Chef Markus Scheer trotz aller Freude über den Moorhuhn-Erfolg ein Grund zum Nachdenken: „Wenn bis zu 180000 Menschen stündlich versuchen, das Spiel herunterzuladen, sind offensichtlich die aktuellen Netzstrukturen des Internets in Deutschland in Deutschland überfordert.“ Das mag bei einem simplen Spiel ja noch erträglich sein, doch Scheer denkt weiter: „Das wirft Fragen nach den notwendig zu garantierenden Netzkapazitäten für die Datenströme in wirklich wichtigen Bereichen auf – vom Banking bis hin zum Austausch medizinischer Daten.“
Eingefleischte Fans waren erbost, als ihnen der Griff zur Spielflinte zunächst verwehrt blieb. Die Internetgemeinde ist eine eingeschworene Truppe, die Schnelligkeit liebt. Im Handumdrehen bombardierten die ersten Enttäuschten Phenomedia und Computer Channel mit deftigen E-Mails. Auch so eine Zeiterscheinung: Während manche Fans sich für Kinokarten stundenlang an echten Kassen anstellen oder etwa in Köln für Stunksitzungs-Karten sogar auf der Straße übernachten, muss der „Onliner“ in wenigen Minuten und mit wenigen Mausklicken ans Ziel kommen, soll sein Weltbild in den Fugen bleiben.
Dafür sind die Moorhuhn-Fans auch zu schnellen Reaktionen bereit und fähig: Auf beliebten Fanseiten wurden flink Umfragen gestartet. 70 bis 80 Prozent der Teilnehmer beurteilten Moorhuhn 2 als „absoluten Hammer“. Der Online-Ableger der Computerzeitschrift „Chip“ war als einer der ersten mit Kritik zur Stelle, und die fiel heftig aus: „Blass und ohne Ideen!“

Hochsitz und Tiefflug

Moorhuhn-Vater Frank Ziemlinsky macht gar keinen Hehl daraus, dass er kein neues Spiel erfunden hat. Immerhin hat er eine Fülle von Varianten und Details eingebaut, die sich vor allem dem erschließen, der nicht sofort losballert. Allein das Hintergrundbild ähnelt mehr denn je einem schottischen Hochmoor, die Hühner haben dank 3-D-Technik endlich ein bisschen Fleisch auf den Knochen, die berühmte Vogelscheuche ist jetzt punkteträchtig in mehrere Teile zerlegbar. Hinzugekommen sind beballerbare Steine, ein Frosch, eine Spinne, ein Hündchen – und alles bringt Punkte, Punkte, Punkte. Das mit 25 Punkten zu Buche schlagende Moorhuhn auf dem Hochsitz kann einem fast schon leid tun.
Das Punkte-System wurde erweitert und modifiziert, der gesamte Sound verbessert. Ein bestimmtes Moorhuhn, man sieht es ihm nicht an, widersteht gar selbst den wildesten Schützen und zieht ungerührt seine Bahn am tiefblauen Himmel. Mit welchem Trick es erlegt werden kann, müssen die Jäger erst noch herausfinden. Allein auf der Internet-Fanseite www.moorhuhn-world.de wird an Tipps und Tricks schon die ganze Woche fieberhaft gearbeitet. Neu ist natürlich auch die Boss-Taste: Das Drücken des Buchstaben B auf der Tastatur wechselt sofort vom Spiel zu einem Screenshot des Textverarbeitungsprogramms Word. Allenfalls dann eine Hilfe, wenn der Chef aus der Ferne kontrolliert, aus der Nähe ist die Täuschung allzu offensichtlich. Alles in allem ist Moorhuhn 2 keine Sensation, die Jagd am Rechner bleibt ein witziges, aber simples Ballerspiel, das jeden zum Sieger macht, der sich beim Punkten auch nur einmal selbst übertrifft. Und natürlich hervorragend geeignet für den Wettbewerb mit treffsicheren Konkurrenten.

Chef passt auf

Bleibt die Frage, wer eigentlich wo Moorhühner jagt. Als am Moorhuhn-Sonntag die Leitungen erstmals den Datentransport verweigerten, wird kaum ein Huhnfan im Büro gesessen haben. Auch am Tag danach meldeten große Unternehmen Ruhe an der Hühnerfront. „Ich gehe davon aus, dass unsere Mitarbeiter keine Zeit haben zu spielen“, sagte eine Sprecherin der Deutschen Bank in Hamburg etwas spitz der Nachrichtenagentur dpa. Auch für die Commerzbank sind die Moorhühner kein Thema: Laut dpa sind die Rechner an den Arbeitsplätzen so konfiguriert, dass niemand etwas herunterladen kann. Zur Zeit deutet nichts darauf hin, dass die neue Version des Moorhuhnkillerspiels erneut deutsche Firmenserver reihenweise in die Knie zwingen wird.
Im Januar und Februar diesen Jahres, als das Moorhuhnfieber epidemisch ausbrach, hatten vor allem mit E-Mail versandte High-Score-Listen bei Banken, Versicherungen, Verwaltungen und Unternehmen zeitweise die Mailserver lahm gelegt. Ganz besonders Süchtige handelten sich auch schon mal eine Abmahnung ein, wenn sie allzu oft die Arbeitszeit für Übungsrunden an der virtuellen Flinte missbrauchten. Doch mittlerweile hat sich viel Aufregung gelegt, bei Arbeitgebern genauso wie bei Arbeitnehmern.
Wenn Netzwerke abstürzen, Mailserver in die Knie gehen und bezahlte Arbeitszeit vergeudet wird, entsteht ein volkswirtschaftlicher Schaden, den selbst der toleranteste Chef nicht klaglos hinnimmt. Schützenhilfe bekommen Hardliner inzwischen von findigen Entwicklern. Kleine Sicherheitsprogramme können netzintern regeln, was der Firmenchef vorgibt: Sie fangen jede Mail ab, die irgendwo den Begriff Moorhuhn enthält, schicken die unerwünschte Post in Quarantäne oder zerfetzen sie elektronisch. Es gibt aber auch Tools, die ähnlich wie ein Babysitter einfach nur aufpassen, dass das Moorhuhn zeitweise das Flattern lässt. Mit ihnen können Führungskräfte bestimmen, wann gespielt werden darf und wann nicht – sozusagen die arbeitnehmerfreundliche Lösung.
Wie Phenomedia-Pressesprecher Ulf Hausmanns versichert, wird es demnächst auch wieder eine Online-Moorhuhn-Meisterschaft geben. Die findet dann aber ohne Moorhuhn-Papa Frank Ziemlinsky statt, denn der bekennende Tierfreund ist nach eigener Aussage ein „miserabler Schütze“.