Die falsche Botschaft des Orkans

Im Auge des Gewitters

Wenn es im Sommer schneit oder öfters heftig stürmt und gießt, spricht seit neuestem alle Welt vom Klima. Dabei spielt nur das Wetter verrückt. Aber wenn - wie Anfang 2002 - der Winter endlich mal wieder streng ist, wächst die Überzeugung, dass Klimaforscher "spinnen". Doch das Wetter hat mit dem Klima (fast) nichts zu tun

Im Januar 1996: Ein Schneesturm fegt mit ungewöhnlicher Härte über die Ostküste der Vereinigten Staaten hinweg. Im Februar 1996: Schneefälle und eisige Minusgrade legen den Mittleren Westen Nordamerikas lahm. Im März 1996: Regen perlt in dicken Schnüren über die Region an der Pazifikküste im Nordwesten der USA, so dass die Menschen fast an die Rückkehr der biblischen Sintflut glauben wollen. Drei Naturkatastrophen in nur drei Monaten - das ist den amerikanischen Medien mehr als eine dicke Schlagzeile wert. Aber nicht nur, weil Tausende Menschen sterben und die Schäden in die Milliarden gehen. Das US-Magazin "Newsweek" befragt zu den Hintergründen der massiven Wetterunbill eine Reihe von Meteorologen und erscheint am 22. Januar 1996 mit zehn Seiten Apokalypse. Tenor: Die Natur schlägt zurück. Die Wetterausreißer seien Anzeichen des kommenden Klimawandels. Zwar sind extreme Wetter von den Forschern für eine Übergangsphase vorhergesagt, aber Beweise?
Fehlanzeige!
Die amerikanischen Blizzards finden in Europa nur im Fernsehen statt - genauso wie die Überschwemmungen in Bangladesch oder die Flut von Mosambik. Doch wenig später scheint die Katastrophe näher zu rücken: Orkan Lothar, wiederkehrende Höchstwasserstände ("Jahrhunderthochwasser") an Rhein und Mosel, kindskopfgroße Hagelkörner in München. Im Mai 2001 versetzt ein heftiges Gewitter das beschauliche Örtchen Gummersbach binnen 20 Minuten in den Ausnahmezustand. In Ahlen steigt die Werse in einem Stadtteil den Häusern bis in den ersten Stock. Unlängst traf es Straßburg und mehrere Städte im süddeutschen Raum. Ein einziges Gewitter löst die große Flut aus, entwurzelt Bäume, bringt Menschen um. Niemand hat das je erlebt, nicht einmal die Großeltern können sich an ähnlich folgenschwere Gewitter erinnern. Die fassungslosen Flut-Geschädigten ahnen: Die Klimakatastrophe hat begonnen.

Journalisten, die genauso denken, bemühen sich um Hintergrundinformationen. Unwetter als Folge der Erderwärmung? Klimakatastrophe? Die Wetterforscher winden sich und antworten nicht selten mit einem "klaren Jein". Denn die Statistik verrät: Alles schon mal dagewesen ...

Richtige Frage, falscher Anlass. Ein Wetter macht noch kein Klima, genauso wenig wie die eine Schwalbe einen Sommer. Jeder Klimaforscher könnte Arien singen, wie schwierig es ist, ein kompliziertes Thema richtig in eine Medienwelt zu tragen, die nichts mehr liebt als spektakuläre Ereignisse und einfache Formeln. Gerade die Massenmedien verlieren häufig die Navigation: Werten sie jedes Hochwasser vorschnell als Klimakatastrophenboten, verlieren sie bei ernsteren Klimaänderungszeichen den Blick fürs Wesentliche. So etwa 1991, als das beständig tauende Gletschereis der Ötztaler Alpen (ausgerechnet im Jahr mit der bis dato höchsten Durchschnittstemperatur seit 1850) die 5000 Jahre alte Mumie "Ötzi" frei legte. Falsche Fragen: Wie ist der Mann umgekommen? War er auf der Flucht vor einem Nebenbuhler? Oderwurde er einfach nur von einem Wetterumschwung überrascht?

Die Klimaforscher haben es nicht leicht, ihre Wenn-und-Aber-Botschaften im Volk zu kommunizieren. Stoßen sie bei ihrer Fahndung nach der Klima-Zukunft dann auch noch auf ein mögliches Versiegen des Golfstroms, was trotz globaler Erwärmung mehr Frost für Europa bedeuten würde, fahren die Medien Achterbahn und geben Entwarnung. Hieß es nicht gestern noch, es würde wärmer? Die Sehnsucht nach einfachen Formeln ...

Die kennen auch die Meteorologen: "Viele Wetter machen das Klima." Jim Kinter vom "Center for Ocean-Land-Atmospheres Studies" (COLA) in Calverton im US-Staat Maryland drückt es so aus: "Klima ist, was wir erwarten; Wetter ist, was wir kriegen!" Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht. Laut Definition der World Meteorological Organization (WMO) ist Klima der Wetter-Mittelwert für eine klar umrissene Region aus mindestens 30 Jahren. Wetter hat also schon mit Klima zu tun, aber einzelne Unwetter oder sogar eine auffällige Häufung von Wetterkapriolen als Klimaänderung zu interpretieren, ist pure Spekulation. Alles hängt mit allem zusammen, aber kein Einzelelement ist der Beweis fürs Ganze. Da mag das Wetter morgen so verrückt spielen, wie es will.

Unwetter hat es zu allen Zeiten gegeben. Gerade im wetterwendischen Mitteleuropa, inmitten der stürmischen Westwindzone gelegen. Das belegt eine Untersuchung natürlicher Klimaschwankungen der vergangenen 500 Jahre an der Universität Bern. Da gab es für einige Jahrzehnte nur fünf Kalt- oder Warm-Ausreißer, für andere Dekaden - etwa 1676 bis 1685 - dagegen gleich 27 so genannte Anomalien, also Tage, an denen das Wetter "spinnt", ohne die Statistik zu ändern. Anders sieht es bei den Temperaturen aus: Genau wie ein Kältesprung um 1565 fällt auf der 500-Jahre-Skala ein Wärmesprung um 1988 aus dem Rahmen. In der Dekade von 1986 bis 1995 war es - selbst für die Langfrist-Statistik - ungewöhnlich oft ungewöhnlich warm. Die 90er Jahre waren die wärmste Dekade im abgelaufenen Jahrtausend. Alarmierend das Tempo des Temperaturanstiegs, denn die Klimamodelle sagen für die nächsten 100 Jahre eine beschleunigte Erwärmung vorher, falls der Ausstoß von Treibhausgasen nicht drastisch verringert wird. Wie dann das Wetter sein wird? Überall anders, wie heute auch, aber in der Tendenz stürmischer und feuchter.

Während die Temperaturstatistik vergangener Jahrzehnte ein klares Klimasignal ausstößt, sagt das einzelne Wetter nichts über das Klima aus oder jedenfalls nichts Verlässliches. Im Wüten der Fluten und Stürme steckt über Jahrzehnte kein klarer Rhythmus: mal quälten sie die Menschen dauerhaft, mal blieben sie aus. Das Wetter macht, was es will. Das zeigt sich auch immer dann, wenn falsche Prognosen die Irrtümer der Wetterfrösche vom Amt entlarven. Trotz Satelliten, Regenfängern, Ballonsonden, Messfühlern. Nicht einmal der Schnellrechenmeister Computer ist ein unfehlbarer Prophet, obwohl er bei seiner 24-Stunden-Prognose inzwischen zu 90 Prozent Volltreffer liefert.

Das Wetter sagt nichts über das Klima aus. Doch auch im Informationszeitalter erfolgt die Beurteilung der Tatsachen vor der Haustür weiter nach dem Schwarz-Weiß-Prinzip. Treibhausklima, wenn im Rheinland Menschen erfrieren? Tatsache ist: Im globalen Maßstab erwärmt sich Mutter Erde durchaus, selbst wenn es kälter wird. Wer nach der nächsten weißen Weihnacht oder Silvesternacht bei 20 Minusgraden in Klimaforschern Panikmacher sieht, denkt zu kurz.

Fatalerweise prägen die spektakulären Medienberichte über Orkane, Flutwellen, Hagelstürme, Schneechaos und die Toten vom Gangesdelta sich in der Erinnerung bildhaft ein, während die klimaschädlichen Gase, die jeder, der Auto fährt, in die Ferien fliegt, die Heizung hochdreht oder das Licht einschaltet, in die Luft bläst, unsichtbar und lautlos bleiben. Ein Erkenntnis-Dilemma für jedermann. Und jeder Wissenschaftler, der heute irgendeiner "Jahrhundert-Überschwemmung" zu Recht die streng wissenschaftliche Beweiskraft abspricht, trägt paradoxerweise zur Verharmlosung des Klimawandels in der öffentlichen und politischen Diskussion bei.

Das Umweltinstitut "Germanwatch" hat das, was der Mensch mit dem Schadstoffausstoß seiner Umwelt antut, einmal als das "perfekte Klima-Verbrechen" bezeichnet. Es gebe zwar Leichen und auch Täter. Doch wenn es Milliarden anonyme Täter sind? Dann gebe es auch keine Richter. Und keine Kläger. "Viele sind schuld, also ist keiner schuld", schreibt Christoph Bals in der "Germanwatch-Zeitung". Das Kausalitätsprinzip versage: Da nur die Masse der Treibhausgase wirke, könnten einzelne nicht zur Verantwortung gezogen werden. Beweisbar ist nichts. Noch nicht.

Sicher ist nur: "Die Natur hat keinen Reset-Knopf" (Worldwatch-Präsident Lester Brown). Und der nächste Orkan, der übermorgen womöglich in Köln wütet, ist wiederum nur ein Wetterereignis und hat mit dem Klimawandel nichts zu tun. Die vielen Flugzeuge, mit denen die Teilnehmer der Weltklima-Konferenzen anreisen, schon eher!

©imke habegger 2002