Ein fröhliches Kind des Kalten Krieges

Wissenswertes rund ums Internet

"Drin!" Boris Beckers werbewirksames Erstaunen werden viele nachempfinden, die erstmals ins Internet gehen. Dank der Portale, die große Provider wie T-online oder AOL ins Netz gestellt haben, und mit relativ einfach zu bedienender Software ist das heute keine Kunst mehr. Doch wieso bauen sich am heimischen PC-Bildschirm mit Bildern verzierte Textseiten auf? Wie funktioniert das Internet?

Im Prinzip ganz einfach: Das Internet ist der größte Rechnerverbund aller Zeiten. Millionen von vernetzten Computern in der ganzen Welt kommunizieren miteinander, Billionen von Bits strömen durch Telefon- und Datenleitungen oder fliegen Funk- und Satelliten-gesteuert durch die Luft. Dass die Kommunikation funktioniert, liegt an TCP/IP. Hinter dem Doppelpack aus Transmission Control Protocol und Internet Protocol verbirgt sich eine Art Sprache, die so einheitlich definiert ist, dass jeder Depp – sprich: jeder Rechner, egal, welcher Bauart – sie verstehen kann.

Die Idee, so ein selbstlaufendes Netzwerk einzurichten, stammt aus der Zeit des Kalten Krieges. Die ersten Computer-Netzwerke funktionierten nach einem einfachen Prinzip. Es gab einen Hauptrechner – das war meistens der größte –, an den ein oder mehrere Nebenrechner mittels Kabel angehängt wurden. An den Nebenrechnern hatte der Computerbenutzer Zugriff auf alle Daten, die der Hauptrechner zur Verfügung stellte. Ging jedoch der "Chef" kaputt, hatten auch die angehängten Rechner Sendepause oder arbeiteten nur im Schongang. Dieses Meister/Knecht-Prinzip wollten die Amerikaner Ende der 50er/Anfang der 60er unbedingt umgehen. Eine der US-Denkfabriken stellte schon seit 1957 strategische Überlegungen an, wie Regierung und Militärs im Falle eines Nuklearangriffs weiterhin kommunizieren könnten. Eine zentrale Steuereinheit kam wegen des Ausfallrisikos nicht in Frage. Es sollte ein Datennetz sein, das funktionsfähig bleibt, auch wenn Teile davon zerstört werden.

Die Wassereimer-Kette

Die Vordenker knobelten eine Strategie aus, die bis heute den Datenverkehr regelt: An einem Netz hängen Rechner, so genannte Knotenrechner, die autark Daten, beispielsweise eine Nachricht, erzeugen, versenden und empfangen können. Sie sind immer miteinander verbunden. Eine Nachrichtendatei wird an einem beliebigen Startknoten losgeschickt. Der Rechner zerlegt sie in viele Einzelpakete, die alle mit der Adresse des Empfängers und des Absenders versehen werden, alle Teilchen werden zudem kopiert. Ähnlich wie früher die Wassereimer bei Feuerlöscheinsätzen werden die Daten an einen Nachbarrechner weitergereicht, der weiß, wie er zum nächsten Nachbarn kommt. Wie das Wasser ins Feuer muss die Nachricht zum Empfänger, egal, auf welchem Weg. Am Ziel fügt ein Computer die Teile automatisch wieder zum Ganzen zusammen. Fallen Rechner aus, werden die Datenpakete auf neuen Kurs geschickt. Wenn der Empfänger Kontakt zum Netz hat, erreicht ihn die Nachricht immer.

Das Pentagon gründete 1969 als Unterabteilung die Advanced Research Projects Agency (ARPA), die den ersten hochleistungsfähigen Knotenrechner an der kalifornischen Universität in Los Angeles installierte. Im Verlauf des Jahres wurden vier weitere US-Unis mit Knotenrechnern ausgestattet und angeschlossen. Das ARPA-Net war geboren. Die Wissenschaftler konnten gleichberechtigt Daten austauschen, Programme nutzen und die Rechner steuern. Weitere Universitäten koppelten sich an den Verbund an. Parallel entstanden in den 70ern andere wissenschaftliche Netze wie etwa das Computer Science Research Network (CSNET), weil die Zugangsbarrieren zum ARPA-Net wegen der strengen Pentagon-Kontrollen sehr hoch waren. Erst 1983 zog das Pentagon sich aus diesem Netz zurück und gründete ein eigenes, das MILNET.

Auch mal einen Witz ablassen

Schon im ersten Jahr entdeckten die ARPA-Forscher, dass sich über ihre "Wassereimerkette" nicht nur bestens ernsthaft arbeiten ließ, sie konnten sich auch "unterhalten", also auf dem elektronischen Weg Projekte absprechen, Kongresstermine vereinbaren oder auch mal einen Witz ablassen. Und das gefiel ihnen so gut, dass sie ihr Netz ausgiebig auch für nicht Dienstliches nutzten. Auch wenn die Administratoren an den Knotenrechnern gelegentlich meuterten: es war die Geburtsstunde der E-Mail. Die ersten "Mailinglisten" entstanden, Nachrichten, die auf Wunsch an im Netz eingebundene Rechner verschickt wurden wie Zeitungen an Abonnenten. Eine der ersten großen Mailinglisten im ARPA-Net stammte von einer Clique aus Science-Fiction-Fans. 1972 wurde E-Mail offiziell eingeführt.

Das ARPA-Net wuchs stetig, immer mehr Knotenrechner kamen hinzu, das Andocken war wegen der dezentralen Struktur einfach, jeder Neuzugang musste nur die "Sprache" beherrschen, also das paketorientierte Protokoll, damals noch Network Control Protocol (NCP), über das Nachbarknoten sich verstehen. Die amerikanischen Wissenschaftler Vint Cerf und Bob Khan definierten schließlich das systemübergreifende Internet Protocol (IP), das die Adressierung der Datenpakete regelt und quasi der Wegweiser ist, David Clarke gilt als der Vater des Transmission Control Protocol (TCP), das die Pakete auf immer gleichem Standard zerlegt und wieder zusammenfügt . 1977 wurde das ARPA-Net auf TCP/IP umgestellt und damit war der Weg frei für den größten Rechnerverbund aller Zeiten. Die Software, die die Verständigungsplattform realisiert, war ungeschützt, jeder konnte sie erwerben. Heute ist sie in alle gängigen Betriebssysteme integriert.

TCP/IP

Fester Bestandteil des TCP/IP ist die Namensvergabe in den Netzen. Jeder Rechner hat eine eigene, eindeutige Adresse, über die er zu identifizieren ist, etwa wie eine Telefonnummer. Diese IP-Adresse besteht aus vier Zahlen zwischen 0 und 255, die durch Punkte abgetrennt sind: z. B. 123.134. 201.145. Als die Fülle der Knoten und Netze immer undurchsichtiger wurde, versuchte man die nichts sagenden Zahlenkombinationen durch Namen zu ersetzen. Dabei wurden geografische Zusätze verwendet: de steht für Deutschland, at für Österreich, jp für Japan usw., während es in den USA eine Unterteilung in sechs Basisbereiche gab: gov (Regierung), mil (Militär), edu (Bildung/Universitäten), com (Wirtschaft), org (staatl. und private Organisationen) und net für Gateway-Rechner, die den Zugang zu anderen Netzen optimieren. Inzwischen haben die meisten Rechner des Internets eigene Namen, sogenannte Domain Names. Domain Names Server (DNS) übersetzen die Namen dann wieder in die eigentliche Zahlenadresse. ape1.urz.uni-bonn.de (erfunden) würde also einen Rechner mit dem Namen ape1 bezeichnen, der in Deutschland steht (.de), und zwar im Universitätsrechenzentrum (.urz) der Uni Bonn. Die Namensadresse ist aufschlussreicher als 123.134.201.145. Über die Domain Names wacht in Deutschland die DENIC (Deutsches Network Information Center), bei der jeder Name beantragt werden muss.

Anfangs war das ARPA-Net ein reines Wissenschaftsnetz, später kamen andere Gesellschaftsgruppen hinzu. Unternehmen etwa gründeten mit Superrechnern eigene Netze, um Überseefilialen zu koordinieren, die US-Weltraumbehörde NASA mit ihrem Netz klinkte sich ein. Es wurde technisch immer einfacher, verschiedene Netzwerke dem "Netz der Netze" anzuschließen. 1984 begann die National Science Foundation (NSF) einen Nachfolger für das völlig überlastete ARPA-Net aufzubauen, der es 1990 ablöste. In Deutschland war das Deutsche Forschungsnetz (DFN) einer der ersten großen Datenverbände, weitere wie etwa EUNET folgten bald nach. Nach und nach fügten sich ohne Hierarchieregeln oder Zugangsbeschränkungen lokale Netzwerke aus der ganzen Welt aneinander. Ein offenes, internationales Netz entstand: das Internet (Interconnected Networks).

World Wide Web

Seinen Siegeszug aber verdankt es der Erfindung des World Wide Web (WWW). Der Wissenschaftler Tim Berners-Lee hat dieses Hypertextsystem 1989 am Centre Européen de Recherches Nucléaires (CERN) in Genf entwickelt und 1990 verfeinert. Das WWW ist nicht eine Art Unterabteilung des Internet, sondern ein Dienst zur Informationsabfrage auf grafischer Basis. Berners-Lee erfand die Hypertext Markup Language (HTML), die den Webseitenaufbau unterstützt, Formatierung von Text erlaubt, Grafiken und Steuerelemente einbindet. Damit zogen Bilder und später auch Animationen, Töne und Videos in die bis dahin textorientierten Informationssammlungen ein. Durch die Datenübertragungsart Hypertext Transfer Protocol (HTTP) wird eine mit HTML gestaltete Seite auf den Rechner des Internetnutzers übertragen, der sie mit einem Browser (Software, die HTML grafisch darstellen und steuern kann) betrachtet und über die Hyperlinks (markierter Text, der einen Steuerungsbefehl enthält) schnell auf die nächste und weitere Webseiten springen kann. Durch diese Hyperlinks ist der Ausdruck surfen entstanden, weil man so schnell und leicht von Seite zu Seite gleitet wie mit dem Surfbrett über Wellen.

Ursprünglich gedacht für den Dokumentenaustausch zwischen unterschiedlichen Rechnern der Wissenschaftler, zog WWW nach seiner Veröffentlichung 1991 immer mehr Forschungszentren und später auch Privatleute in seinen Bann. Anfang der 90er war auch das Datenleitungsnetz gigantisch gewachsen und immer leistungsfähiger geworden, so dass immer größere und immer mehr Datenpakete gleichzeitig immer schneller und damit auch kostengünstiger übertragen werden konnten. 1993 veröffentlichte das National Center for Supercomputing Applications der Universität von Illinois seinen ersten Mosaic-Browser, später folgten Netscape und Microsoft mit weiter entwickelter Browser-Software. Inzwischen gibt es auch eine Fülle von Editoren, die Text, Grafik, Ton und Video in HTML "übersetzen", so dass auch relativ unerfahrene Anwender ihre eigenen Webseiten gestalten können.

Jede Information, die im Internet steckt, hat irgendwann irgendwo ein Mensch dort hineingestellt. Das Netz selber ist nicht schlau, sondern transportiert nur Datenpakete. In der Regel werden die Dateien, die zu einer Webseite gehören, auf einem immer mit dem Internet verbundenen Server des Providers (z.B. T-online, AOL, CompuServe) abgelegt, der den Internetzugang und Speicherplatz für Homepages und E-Mails anbietet. Dort kann die Seite über die URL (Uniform Resource Locator), zum Bespiel http://www.ga-bonn.de, Tag und Nacht von jedem, der sich ins Internet einwählt und die Adresse kennt, abgefragt werden.

Außer WWW und E-Mail bietet das Internet noch drei weitere Funktionen: FTP, Telnet und Newsgroups. Mit dem File Transfer Protocol (FTP) können ganze Dateien versendet und auf einem fremden Computer verwaltet werden. Telnet geht noch einen Schritt weiter: Damit lässt sich nach der Anmeldung ein fremder Computer "fernsteuern", Programme können gestartet und ausgeführt werden. Newsgroups (Usenet) schließlich sind nach Themen und Sachgebieten sortierte Informationsforen, in die sich jeder einmischen kann, der zu einem bestimmten Wissensgebiet etwas beizutragen hat oder etwas dazu lernen will.

Immer öfter drin

Dank WWW und HTML ist das Internet bunt und laut geworden, unterstützt durch weiterentwickelte Software für den PC. Wegen der fast unbegrenzten grafischen Gestaltungsmöglichkeiten bietet es Handel, Wirtschaft, Kultur- und Bildungseinrichtungen, Behörden und auch Privatleuten eine ideale Plattform für immer komplexere Selbstdarstellung und Information. Die ganze Pracht ist jedoch nur eine – beliebig wiederholbare – Bildschirmdarstellung, die auf ihrem Weg durch Modems, Telefon- und Datenleitungen von Rechner zu Rechner immer wieder zerstückelt und zusammengesetzt wird. Weil die Rechner stur die Datenpakete weiterreichen, kann Frau Mustermann am PC mal eben nach Australien surfen. Und Boris Becker ist jetzt immer öfter "drin".