©Frankfurter Allgemeine Zeitung 2006 - Konzert am 03.06.2006 in Ffm

Furiose Frischzellenkur

Lange wirkte sein Spiel nicht so unverbraucht: Clapton in Frankfurt

Von Peter Kemper

Das Licht erlischt, Gitarren werden in Verstärker gestöpselt, und von nun an geht es allein um die Magie der Musikalität. Weder auf Bühnenshow, Lichteffekte, Imageinszenierungen noch auf Anbiederungen an das Publikum scheint die Band Wert zu legen. Sie schafft sich ihren eigenen Kosmos künstlerischer Kommunikation. Je größer die Hallen, um so kleiner die Show!

Wer die Gruppen von Eric Clapton über die Jahre verfolgt hat, erkennt, daß der vielfach verklärte Gitarrist immer mehr zum Puristen wird. Schon bei der aufregenden „Cream“-Reunion im vergangenen Jahr fiel auf, daß die erste „Supergroup“ der Rockgeschichte provozierend unprätentiös auftrat - allein der musikalischen Substanz des Zusammenspiels verpflichtet.

Saitensüchtiger Neffe des „Allman Brothers“-Schlagzeugers

Mit seinem Credo einer völligen Zurücknahme des Star-Status läßt sich Eric Clapton als Außenseiter belächeln. Doch ist es gerade dieser bewußte Verzicht auf alle Äußerlichkeiten, der aus einem Clapton-Konzert ein paradoxes Pop-Bekenntnis zu autonomer Kunst macht. Zum Auftakt seiner Deutschland-Tournee in der Frankfurter Festhalle strahlt der Einundsechzigjährige die Energie eines Dreißigjährigen aus. Lange wirkte sein Spiel nicht so unverbraucht wie mit dieser neuen zwölfköpfigen Band.

Schuld daran ist sicherlich die Integration des erst sechsundzwanzigjährigen Slide-Wunders Derek Trucks. Mit sicherem Gespür für Inspirationsquellen hat Clapton den Neffen des „Allman Brothers“-Schlagzeugers und Gründungsmitglieds Butch Trucks in die Gruppe geholt: ein schüchtern wirkender Saiten-Süchtiger, der als Nachfolger des erfindungsreichen Duane Allman gelten kann, jenes Slide-Gitarristen, mit dem Clapton 1970 sein legendäres „Layla“-Album einspielte.

Zwischen akustischen und elektrischen Ekstasen

Kein Wunder, daß fünf Songs im Frankfurter Konzert aus ebendiesem Schlüsselwerk stammten: „Bell Bottom Blues“ kommt als implodierendes Sehnsuchtsmanifest, während das selten live gespielte „I Am Yours“ zwischen akustischen und elektrischen Ekstasen schwankt. Trucks, der im Alter von neun Jahren eine Fünf-Dollar-Gitarre in die Hand bekam, mit zwölf bereits in einer eigenen Band sein Amalgam aus „Delta-Blues-Jazz-Soul-Rock mit Einsprengseln indischer Klassik“ erprobte und ein Jahr später von den „Allman Brothers“ auf die Bühne gebeten wurde - dieser Derek Trucks offeriert heute sein traumwandlerisches Griffbrettgleiten mit einer Leichthändigkeit, die nicht nur seinem Bandleader ab und an den Atem verschlug.

Dabei spielt Trucks - gänzlich ungewöhnlich für Rockgitarristen - ständig in einer offenen E-Stimmung. „Ich habe damit angefangen, als ich zehn Jahre alt war, und konnte nie mehr damit aufhören, obwohl es schwierig ist, denn man muß alle Gitarrengriffe neu erfinden.“. Allein mit dem Glasröhrchen auf seinem Ringfinger kann Trucks - ob in der High-Speed-Version von „After Midnight“ oder im langsamen „Nobody Knows You When You're Down And Out“ - einer einzelnen Saite ganze Notenschauer entlocken. Dann spürt man, daß dieses Griffbrett-Genie nicht nur von Robert Johnson, sondern ebenso von Jazzmusikern wie den Saxophonisten John Coltrane und Wayne Shorter oder dem Trompeter Miles Davis in seiner delikaten Phrasierung beeinflußt ist.

Die Lieder klingen wie gerade erst erfunden

Mit Doyle Bramhall II hat Clapton einen weiteren Herausforderer in seiner Band. Der siebenunddreißigjährige Texas-Blues-Gitarrist in der Nachfolge von Stevie Ray Vaughan sorgt mit seinem drahtigen Sound in Stücken wie „Why Does Love Got To Be So Sad“ oder „Motherless Children“ für kalt glitzernde Schärfe. Clapton selbst steigert sich - befeuert durch diese Frischzellenkur - immer wieder in rauschhafte Improvisationen. Mit geschlossenen Augen, auf den Zehenspitzen wippend, den Körper wie eine Stahlfeder nach hinten gebogen, treibt er die Mitmusiker mit giftigen Licks vor sich her.

Kein Wunder, daß Gassenhauer wie „Layla“ oder „Cocaine“ klingen, als seien sie gerade erst erfunden worden. Daß das Clapton-Kollektiv heute so knackig und kompakt wie selten klingt, liegt am fetten Bläsersatz „The Kick Horns“ und der druckvollen Rhythmusgruppe mit der Basslegende Willie Weeks und dem Drummer Steve Jordan. Nach zwei Stunden wird die Zugabe „Crossroads“ von ihm martialisch durchgehämmert, Robert Cray steigt als vierter Gitarrist mit ein. Der Robert-Johnson-Klassiker vom teuflischen Seelensammler trifft: Diese Clapton-Band hat während ihres Auftritts die SeitenanfangSeelen des Publikums tausendfach aufgesogen.