©Frankfurter Allgemeine Zeitung 2004 - Konzert am 30.3. in Stuttgart

Wenn Höllenhunde an der Leine zerren

Eric Clapton live

Von Peter Kemper

Verschwende deine Jugend: "Eric wollte es wie Robert Johnson machen, ein paar gute Jahre und dann ab.“ Was Alexis Korner, der Nestor der britischen Blues-Bewegung, einst über Clapton sagte, verweist auf die provozierenden Parallelen zwischen dem hochgejubelten "Gott des Griffbretts" und dem ungekrönten "König des Delta-Blues". Beide litten unter ihrem Stigma als uneheliche Kinder, fühlten sich als Ausgestoßene. Von ständiger Unruhe erfüllt, entdeckten sie die Gitarre als Resonanzkörper ihrer adoleszenten Ängste. Johnson wie Clapton waren schon als Jugendliche davon überzeugt, nur im Blues ihre lebenslange Flucht vor der Heimatlosigkeit verarbeiten zu können. Kein Wunder, daß für Clapton der Johnson-Titel "Hell Hound On My Trail" zu einem Leitmotiv avancierte.

Natürlich lassen sich die Lebensumstände des bettelarmen Johnson im tiefen Süden der Vereinigten Staaten nicht wirklich mit denen des behüteten englischen Teenagers in Surrey vergleichen, doch beide wurden von den ewig gleichen Dämonen heimgesucht: Schmerz, Trauer, Verwirrung, Verzweiflung bei der Suche nach dem Selbst. Beide wandelten auch ständig an den Abgründen ihrer Selbstgefährdung: Drogen und Alkohol, Bindungsdramen und private Tragödien. Vor allem aber gelang es Eric Clapton ebenso wie Robert Johnson, dem allgegenwärtigen Erschrecken Reste einer triumphalen Schönheit abzuringen. Der Blues als tröstlicher Gefühlshumus: "Nur mit einer Gitarre in der Hand gelingt es mir, meine Trauer in Schach zu halten", erklärte Clapton noch in den Neunzigern. Doch während Johnson jung starb, hat Clapton - allen jugendlichen Selbstzerstörungsvorsätzen zum Trotz - überlebt.

Eine skrupulöse Hommage

"Happy birthday to you", schallte es ihm tausendfach entgegen, als Clapton jetzt zum Start seiner Deutschlandtournee in der Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer-Halle die Bühne betrat. Es mag ihm wie eine ironische Ermutigung vorgekommen sein, daß er am Tag seines neunundfünfzigsten Geburtstags gerade jenem "Höllenhund-Züchter" huldigen sollte, der bereits im Alter von siebenundzwanzig Jahren vergiftet wurde. Denn erst in der vergangenen Woche ist Claptons neues Album "Me And Mr. Johnson" erschienen - eine skrupulöse Hommage an jenen "Künstler der namenlosen Angst", von dem sich der White-Blues-Boy früh berufen fühlte und dem er als eine Art "dämonischem Schutzengel" sein Leben lang vertraut hat.

Manch einer unter den zwölftausend Stuttgarter Zuhörern mag befürchtet haben, Clapton würde Johnson-Klassiker mit der gleichen braven Ehrfurcht wie auf dem Album spielen. Nach zwanzig Minuten wurde er eines Besseren belehrt. Denn die Live-Versionen von "When You Got A Good Friend", "Milkcow's Calf Blues" oder "Kind Hearted Woman Blues" gerieten zu einem einzigen Feuerwerk der Empfindungen. All das, was man in den Studioaufnahmen vermisst, das Wagnis des persönlichen Zugriffs, die singende Schärfe von Claptons Gitarrenspiel, die risikobereite Neudeutung des historischen Materials - im Konzert war dies alles schlagartig da. Eine vibrierende Präsenz erfüllte plötzlich die Halle. Man wurde unmittelbar Zeuge davon, mit welch inniger Seelenverwandtschaft Clapton seinem ewigen Vorbild huldigt. Furchteinflößendes Voodoo-Flavour verband sich mit zärtlichen Gitarrengesten und messerscharfen Slide-Licks. Es waren kathartische Momente, in denen jeder der Anwesenden spürte, daß hier ein Suchender endlich an der Quelle seiner unruhigen Sehnsucht angekommen ist.

Beängstigende Intensität

Man könnte mit ein wenig Übertreibung behaupten, daß Eric Clapton heute zuallererst Sänger und dann erst Gitarrist ist - so expressiv und souverän handhabt er inzwischen seine Stimme. Er, der in den Siebzigern von größten Selbstzweifeln an seinen gesanglichen Fähigkeiten geplagt war, läßt sich inzwischen von den eigenen vokalen Wendungen mitreißen. Rauh, bisweilen hart und trocken, dann wieder mit einem schmeichelnden Schmelz aufgeladen, arbeitet sich Claptons Stimme durch die parabelhaften Texte: Immer geht es um Himmel und Hölle, um Erdenschwere, um Energien von Sonne und Mond, um die Verführungskräfte von Gott und Teufel, um Gier und Erlösung und um das Schicksal von Männern und Frauen.

Daß es Eric Clapton im einundvierzigsten Jahr seiner Musikkarriere noch einmal gelingt, den Blues aus seiner Tradition heraus neu zu erfinden, liegt nicht zuletzt an Doyle Bramhall. Endlich hat er in diesem jungen Gitarristen ein herausforderndes Alter ego gefunden, das ihn mit lodernden Slide-Phrasen zu jubilierenden Melodielinien inspiriert. Im Zusammenspiel der beiden Griffbrettfanatiker entstehen in Blues-Nummern wie "Hoochie Coochie Man" oder "Have You Ever Loved A Woman" Improvisationen von beängstigender Intensität. Ihre sengende Sound-Dichte, zusätzlich aufgeheizt von der Soul-Orgel eines Billy Preston, erzeugt für den Zuhörer immer wieder ein fast klaustrophobisches Kontinuum. Abgesichert und stabilisiert werden die jam-session-artigen Exkursionen von der altbewährten Rhythmusachse mit Nathan East am Baß und dem Schlagzeuger Steve Gadd. Trotz eines weiteren Keyboarders und zweier Backgroundsängerinnen blieb das Klangbild selbst in Gassenhauern wie "I Shot the Sheriff" oder "Cocaine" schlank und transparent.

"Hier schien jemand nicht mehr für ein Publikum zu spielen, sich nicht länger um Blues-Regeln zu scheren, um Rhythmus und Harmonie. Der Mann spielte nur noch für sich selbst. Ich habe nie einen seelenvolleren Blues-Sänger gehört. Seine Musik gleicht dem kraftvollsten Schrei, zu dem die menschliche Stimme fähig ist." Was Eric Clapton hier über Robert Johnson sagt, gilt heute in vollem Umfang für ihn selbst. Zwar hat er seine persönlichen Höllenhunde inzwischen angeleint, doch spätestens in der Wagnissituation eines Konzerts beginnen sie Seitenanfangwie wild an der Leine zu zerren.