©Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.3.2001

Sing zum Abschied leise "Layla"

Es klingt nach Adieu: Eric Clapton auf Tournee in Frankfurt

Von Andreas Obst

Ältere erinnern sich womöglich noch an die Zeiten, als es in Deutschland nur die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender gab. Damals endeten die täglichen Übertragungen mit der Programmvorschau: Über getöntem Hintergrund rollten hypnotisch langsam Schrifttafeln mit Hinweisen für den nächsten Tag ab. Es war beruhigend, zu dieser späten Stunde zu wissen, daß es immer einen Morgen geben würde. Dazu paßte die Musik. Sanft tönte sie aus dem Nirgendwo zwischen Gattungen und Stilen, weder Klassik noch Pop, oft klang der Rhythmus aus unbestimmt exotischer Ferne, und stets waren nylonsaitenbespannte Gitarren dabei. Gab man sich diesen Tönen hin, konnte man feststellen, wie die Glieder schwer wurden und die Gedanken mit einem Mal leicht.

Die nächtlichen Minuten vor dem Fernsehgerät hatten eine ganz eigene Magie, und jetzt ist sie wieder da. Denn in der vorigen Woche ist die Schallplatte zu diesen lange verloren geglaubten Tagen erschienen. Sie heißt "Reptile" und stammt von Eric Clapton. Ihr größtes Verdienst ist es, die Erinnerung an die Programmhinweise des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zurückgebracht zu haben.

Ältere könnten noch wissen, wie Eric Clapton zur Legende wurde. Es ist bald vierzig Jahre her. Der Weg des englischen Gitarristen führte über die Bluesrockgruppen "The Yardbirds", "Cream" und "Blind Faith" in eine sensationelle Solokarriere. Schon früh gedrückt von der Bürde des Superstarseins, begann er sie unter Pseudonym. Es nutzte ihm nichts: Götter erkennt man auch in Verkleidung. Und daß Clapton für seine Fans ein Gott war, hatte er selbst schon Jahre zuvor in einem häufig zitierten Graffito auf Londoner Häuserwänden lesen können. Als "Derek and the Dominos" brachte er mit befreundeten Musikern 1970 das Doppelalbum "Layla and Other Assorted Lovesongs" heraus. Das Titelstück ist bis heute eine Art Schlüssel zu seinem Ruhm.

In sieben Minuten und zehn Sekunden bündelt der Song die Quintessenz des Rock - und weitet sie zugleich. Hört man "Layla" heute wieder, erkennt man auch, welche Möglichkeiten der Rock vergeben hat. Das Stück beginnt mit einem Riff, das man, einmal gehört, nie mehr vergißt, schraubt sich über kurze Versschritte und einen fanfarenartigen Refrain in eine Ekstase, wie sie nur die besten Rocksongs erzeugen. Dann bricht es unvermittelt ab, um noch einmal neu zu beginnen. Diesmal kommt "Layla" daher in wunderbar fließendem Gewand, als wortloser Dialog zwischen Klavier und elektrischer Gitarre. Da wird das Lied zur geradezu klassisch-romantischen Phantasie, Hymne auf die lustvolle Vergeblichkeit der Liebe.

Clapton hat danach noch viele weitere Hits geschrieben und interpretiert, doch nie wieder war ein Stück wie "Layla". Seitdem ist sein Ruf gewachsen, wie ein Schatten länger wird, wenn man sich aus dem Zentrum des Lichts bewegt. Nur noch selten vermochte er danach, auf gleicher Höhe mit seiner Legende zu spielen - auf der Bühne oder im Studio. Auf jener überwiegen routinierte Auftritte längst die Inspiration des Hier und Jetzt, die ureigentliche Quelle des Rock, auf dieser sah er sich erkennbar immer öfter der Schwierigkeit ausgeliefert, die Spieldauer einer CD zu füllen. In den letzten Jahren nahm Clapton deshalb häufig Zuflucht beim Blues, seit je Allheilmittel ausgebrannter Rockmusiker. Doch über die Erkenntnis hinaus, daß der Blues schon immer war und womöglich sogar immer sein wird, ist Clapton zuletzt nicht mehr viel eingefallen.

Jetzt hört man Gerüchte, der bald Sechsundfünfzigjährige bereite seinen Abschied von der Bühne vor. Seine drei Konzerte in Deutschland waren seit Monaten ausverkauft. In der Frankfurter Festhalle, der letzten Station, ist die Spannung vor dem Auftritt mit Händen zu greifen. Sie löst sich in dem Moment, da das Saallicht verlöscht, in einem gewaltigen Aufschrei. Im Prasseln des Applauses sind die ersten Akkorde von Claptons akustischer Gitarre kaum zu hören. Auch nimmt man kaum wahr, wie die Musiker der Band ihre Plätze einnehmen.

Das Konzert beginnt gemütlich als Miteinander mittelalter Herren in kurzärmeligen Hemden. Sie hocken auf ihren Stühlen wie die Alten vor den Läden einer orientalischen Basarstraße. Auf der Bühne ist sogar ein Orientteppich ausgebreitet. Man würde sich auch über Wolken nicht wundern, die aus Wasserpfeifen aufsteigen. Was Clapton und die anderen am Anfang spielen, ist nett - und sehr kokett: Gleich im ersten Song ist die Rede davon, daß alles weitergehen könne bis zum Tod. Es ist Programmtafelmusik, in ihrer Unverbindlichkeit fast klassisch in dem Sinne, daß die Einwände verstummen vor der Kunstfertigkeit des Vortrags. Das letzte Lied dieses Teils heißt "Change the World", die entscheidende Zeile lautet freilich: "If I Could".

Zum Rockkonzert wird der Abend erst in der zweiten Hälfte - es geschieht von einem Moment auf den anderen. Clapton steht auf, die anderen tun es ihm nach, alle greifen nach elektrischen Instrumenten. Dann klingt sogar der "River of Tears" nach einem Jungbrunnen. Vorher hat Clapton sich selbst zitiert, wie um sich seiner selbst zu vergewissern, jetzt erfindet er plötzlich die Lieder aus allen Phasen seiner Karriere neu. Es ist nicht zu erkennen, woher er die Kraft nimmt.

Wie absichtslos spielt er Intros, aus denen Preßluftwurzeln wachsen, stark genug, die alten Hits noch einmal zu stemmen. Lange Soli trennen Strophen und Refrains, kein Gitarrenton ist überflüssig. Clapton läßt das Instrument singen. Es klingt, wie nie zuvor gehört. Am Ende steht "Layla", ein letzter Neuanfang. Viel zu schnell ist er zu Ende. Wenig andere Momente sind in Erinnerung, da ein Rocksong und musikalische Ewigkeit so dicht zueinander kamen.Seitenanfang

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andacht