©Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. 10. 1998 / S. 45:

Keine Gnade für Sheriffs

Station Frankfurt: Eric Clapton schießt zurück

Fürs klassische Konzert ist uns das passende Menetekel lange schon erschienen. Musik dieser Art soll es künftig schwer haben, weil ihre Klientel allmählich wegstirbt. Offenbar haben diese merkwürdigen Musikliebhaber zuzeiten ja auch nicht für gehörigen Nachwuchs gesorgt. Ob das ganz so stimmt, mag man glauben oder nicht. Für die populäre Musik gelten jedenfalls andere Naturgesetze.

Dort stirbt die Musik, bevor ihr Publikum das Zeitliche segnet. Anders ausgedrückt: Die Hörer werden erwachsen und kümmern sich um wichtigere Dinge als um Ohrwürmer. Ihre Musik aber wird überrollt von den Klangwellen, auf denen eine ganze neue Generation daherreitet. Ob das ganz so stimmt, mag man glauben oder nicht. Für Eric Clapton jedenfalls gelten andere Gesetze.

Seine Musik stirbt nicht, sein Publikum offensichtlich auch nicht. Und er selbst bleibt auf wunderbare Weise lebendig. Ob das ganz so.... Das reicht. Viele Mythen der Popmusik haben und glauben machen wollen, es genüge, die Haare etwas länger und die Hosen etwas enger zu tragen. Schon werde man ein Anwärter fürs Pantheon, neudeutsch: für die Hall of Fame. Man müßte die Geschichte der populären Musik oder der Rockmusik einmal daraufhin untersuchen, ob es jemals einem Musiker geschadet hat, sein Instrument zu beherrschen und zu wissen, was eine funktionsharmonische Kadenz ist.

Wer historische Größe in der Rockmusik definieren möchte, wird vermutlich sehr schnell feststellen, daß die Kriterien sich zu einem nicht geringen Teil kaum von jenen unterscheiden, die auch in anderen Musikstilen Gültigkeit besitzen: Harmonie, Rhythmus, Melodie, Form in ausgewogenen Proportionen, Sinn für Klangfarbe, Pausen und Spannung, originell gestaltet, möglicherweise dem ökonomisch-ästhetischen Universalgesetz Maya - most advanced, yet acceptable - unterworfen, handwerklich gediegen. Und das alles vermischt mit zwei eher unerklärlichen Ingredienzen: Genialität und Charisma.

Eric Clapton ist ein großer Musiker. Beim Konzert in Frankfurts Festhalle, der zweiten Deutschlandstation seiner jetzigen Europatournee, hat er einen nachdrücklichen Beweis für seine historische Stellung geliefert. Wer befürchtet hatte, der Gitarrist, den sie Gott nannten, werde die Tour zu Promotionszwecken seiner neuen, etwas schwammig klingenden CD "Pilgrim" mißbrauchen, sah sich angenehm überrascht. Nur im ersten Drittel des Konzerts, für das die Band der fulminanten Bottleneck-Gitarristin und Countryblues-Sängerin Bonnie Raitt das Vorprogramm bestritt, zitierte er sich selbst von seiner jüngsten Aufnahme. Es war der schwächste Teil des Abends, wobei man gerechterweise sagen muß, daß Clapton keineswegs das CD-Programm herunterspulte.

Der Klang war kompakter, die Improvisationen inspirierter und ausgedehnter, die Stimmung besser als im Studio. Und manches, was als Aufnahme leicht larmoyant wirkt ("My father's eyes"), blüht in der Hitze des Konzerts zu richtig guter Rockmusik auf. Eric Clapton vermag gelegentlich sogar laue Popsongs zu raffinierten Hits zu schleifen. Oder, wie seine Fans es sicher sehen: aus undefinierbaren Lehmklumpen und Schwermetallen Gold und Lebenselixiere herzustellen.

Vielleicht ist Eric Clapton auch deshalb so gut, weil er einer der wenigen Universalisten des Rock ist, ein Musiker mit einer charakteristischen Stimme, ein großer Improvisator auf seinem Instrument, ein Meister des timing und der melodischen Linienführung, ein versierter Bluesinterpret und Popmusikkomponist, ein intelligenter Arrangeur von Bühnenshows und unerschrockener Klangsensualist, ein hemdsärmliger Handwerker und mimosenhafter Hipster, ein sentimentalischer Balladensänger ("Tears in Heaven", "Wonderful tonight") und ein kraftstrotzender Haurocker ("Crossroads", "Cocaine"). Und nicht zuletzt ein Evergreenmusiker mit so unverwüstlichen Stücken wie "I shot the Sheriff". All das hat er mit fulminanter Band in Frankfurt geboten: ein Quodlibet aus dreißig Jahren Rockmusikgeschichte. Sein Publikum, das wie sonst selten durch die Generationen schnitt, dankte es ihm aufrichtig. Dabei mag manchem Älteren bewußt geworden sein, was letzten Endes den kleinen Unterschied zur E-Musik ausmacht. Beim Gassenhauer, im Gegensatz zur Neunten, spielt Seitenanfang die Erinnerung mit.

WOLFGANG SANDNER