„Das ist einfach zu viel!“

33 Jahre nach dem Tod seines Bruders am Nanga Parbat sieht sich der Extrembergsteiger Reinhold Messner erneut Vorwürfen ausgesetzt, er habe das Leben seines Bruders aufs Spiel gesetzt, um den Nanga Parbat zu überschreiten. Messner weist das weit von sich und will sich wehren

Reinhold Messner reicht es. Seit 33 Jahren muss er damit leben, dass sein Bruder 1970 am Wandfuß des Nanga Parbat auf der Diamirseite unter ungeklärten Umständen, vermutlich aber in einer Lawine ums Leben kam. „Ich war meines Bruders Hüter“, sagt Messner, „ich bin gescheitert.“ Er hat die Verantwortung für Günther Messners Tod übernommen, er trägt schwer an der Schuld, dass er und nicht sein Bruder überleben durfte.

Aber nun reicht es. Vor wenigen Wochen erschienen zwei neue Bücher, in denen neue Anschuldigungen gegen Messner erhoben oder alte wieder aufbereitet wurden. Messner: „Das ist Rufmord!“  

Weinkrampf

Messner, in Köln zur Präsentation seines eigenen Buches „Die weiße Einsamkeit“, redet sich in Rage. „Ich kann viel aushalten“, sagt er, „aber ich habe Familie, und ich bin Vater.“ Er erzählt, seine Kinder seien weinend aus der Schule heimgekommen. Mitschüler hätten sie gepiesackt und verhöhnt: „Euer Vater, der hat ja seinen Bruder umgebracht!“ Unvermittelt beginnt Messner zu schluchzen. Er springt auf und verlässt mit Tränen in den Augen den Raum. Die Journalisten schweigen betreten. Als der Bergsteiger nach fünf Minuten zurückkehrt, hat er sich wieder unter Kontrolle. Er entschuldigt sich. Der psychologische Druck werde unerträglich, sobald die Kinder ins Spiel kommen. „Das ist einfach zu viel!“

Messner hat viele gute Argumente, vor allem eines: Er war nah bei seinem Bruder, als er starb. Nicht nah genug, um zu sehen, wie er starb. Aber näher als jene, die jetzt die härtesten Vorwürfe erheben. Die Frage, warum Messner erst nach 30 Jahren selber seine Nanga-Parbat-Erlebnisse in Buchform schildert, ist schnell beantwortet. Karl Maria Herrligkoffer leitete die Expedition von 1953, als Hermann Buhl den Gipfel als erster erreichte, und auch – neben anderen – die von 1970, als Günther Messner starb. Herrligkoffer hatte alle „seine“ Bergsteiger geknebelt. Nur er, hatte er sich ausbedungen, durfte über die Expeditionen berichten, er allein entschied, wessen Texte er in seine Bücher aufnahm. Diese Monopolstellung nutzte er schon nach der 1953-Expedition aus, als er Buhls Alleingang in unzulässiger Weise mit der Leistung seines Halbbruders Willy Merkl verglich (siehe Nanga Parbat). Im Fall Messner hat der Nichtbergsteiger Herrligkoffer in Vorträgen und Schriften die These vertreten, Günther Messner sei schon kurz unterhalb des Nanga-Parbat-Gipfels gestorben und Reinhold hätte seinen Bruder im Stich gelassen.

Männerspiele und Imponiergehabe

Erst nach dem Tod von Herrligkoffer im September 1991 endet die Knebelei – und Reinhold Messner ist klug genug, sich nicht auf Spekulationen einzulassen, warum ehemalige Bergfreunde nun gegen ihn vom Leder ziehen. Er spricht von Ehrgeiz, bezeichnet das Konkurrenzdenken unter Bergsteigern und Grenzgängern als „Männerspiele“ und „Imponiergehabe“. Der Frage, ob der Ehrgeiz schuld ist, dass er mit so vielen seiner früheren Teamgefährten heute heillos zerstritten ist, weicht er aus. „Ich bin der einzige, der zu meinem Ehrgeiz steht!“

Die früheren Teamgefährten Max von Kienlin (Die Überschreitung) und Hans Saler (Zwischen Licht und Schatten) haben Bücher veröffentlicht, in denen sie schwere Vorwürfe erheben. Messner habe das Leben seines Bruders der Überschreitung des Nanga Parbat geopfert. Er habe von Anfang an die Überschreitung (an der Rupal-Seite hinauf, an der Diamir-Seite hinab) geplant, behaupten sie. Und für diesen Plan auch das Sterben des Bruders in Kauf genommen.

Nie an Überschreitung gedacht

Reinhold Messner weist das empört von sich. Die Idee von der Überschreitung sei eine Schwärmerei gewesen, Gerede über eine vage Idee. Zumindest 1970 völlig unwahrscheinlich, sie je in die Tat umzusetzen. Dann spricht er ruhig, aber engagiert über die Situation der Brüder am Nanga Parbat.

Auf dem Gipfel hat Günther Angst! Er will nicht in die steile Rupalwand absteigen. Außerdem zeigt er alle Anzeichen der Höhenkrankheit. Also sucht  Reinhold nach einer Alternative. Sie steigen zur Merkl-Scharte ab – und sitzen in einer Falle! Messner: „Das Wandstück zwischen Scharte und Merkl-Rinne war nicht kletterbar, der Rückweg über die Rupalwand versperrt.“ Einziger Ausweg: die Diamirwand. „An Überschreitung habe ich damals nicht ein einziges Mal gedacht, nur daran, wie ich meinen Bruder heil runterbringe.“  

Günther kommt nicht

Messner gibt heute gerne zu, dass er Fehlentscheidungen traf. „Ich habe es damals nicht besser gewusst!“ Wie gefährlich der Abstieg über die Diamirseite ist, kann niemand ermessen, der nicht an Ort und Stelle war. Unbekanntes Gelände, nichts zu essen, nichts zu trinken. Messner sucht verzweifelt Wege, die auch ein Kranker bewältigen kann. Er steigt vor, prüft die Wandverhältnisse, steigt zurück und zeigt seinem Bruder den Weg. Dieses Verfahren geht erstaunlicherweise gut bis zum Wandfuß. Günther hatte sich von der Höhenkrankheit ein wenig erholt, je tiefer sie kamen. Der Fuß der Diamirwand ist extrem lawinengefährdet. Angesichts der überstandenen Gefahren in der Todeszone entfernt sich Reinhold auf Wegsuche nun etwas weiter von Günther, verliert gelegentlich geländebedingt den Blickkontakt. Immer in der Gewissheit, der Bruder komme ihm nach.

Doch er kommt nicht. Reinhold wartet, steigt zurück, sucht – und findet nurmehr einen Lawinenkegel. Deshalb die Vermutung, Günther Messer sei in einer Lawine umgekommen. Reinhold, selbst am Ende seiner Kraft, überlebt – auch nur durch eine Verkettung von Zufällen.

Suche nach dem Bruder

Messner will es jetzt wissen! Er wird nach seinem Bruder suchen: „Ich weiß, wo er liegt, das Eis hat ihn konserviert.“ Infolge der Gletscherschmelze seien die Chancen heute sogar gestiegen, den Bruder oder Überreste zu finden.

Sollte das gelingen, sollte Günther Messner gefunden werden, will Reinhold Messner Schadenersatz verlangen. Denn der Fundort wird zeigen, wer Recht hat. Dann will er alle Medien verklagen, die einseitig von Kienlin oder Saler geglaubt haben. „Wenn ich meine Sache bewiesen habe, werde ich mich wehren!“ Falls es ihm nicht gelingt, die Leiche zu finden, bleibt Messner dennoch zuversichtlich: „Vielleicht wird sie nach meinem Tod entdeckt!“

©imke habegger/general-anzeiger bonn 2003 

Reinhold Messner

Reinhold Messner, Grenzgänger

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Günther Messner

Günther Messner ist seit 1970 verschollen