Samba
pati
Eines Abends stiefelte Marlene nach einer kleinen Kneipentour die Treppe
zu ihrer Wohnung empor - und wunderte sich ein wenig über die laute Musik, die schon im
Treppenhaus zu hören war. Mario hatte zwar sein Apartment nie aufgegeben, aber lebte doch
überwiegend bei ihr. Samba pati! Marlene schwang schon auf den letzten Stufen die
Hüften. Das war ihr Lieblingslied und sie freute sich, dass Mario es ihr zuliebe
aufgelegt hatte. Dachte sie!
Sie schloss die Tür auf, hüpfte beschwingt durch den kleinen Flur,
tänzelte durch die Wohnzimmertür - und blieb mit einem spitzen Schrei stehen. Mitten auf
dem Teppich, direkt vor den Lautsprechern, lag ein ziemlich angesäuselter Mario - und bei
ihm ein junges, ätherisches Wesen, das Marlene nach einer Schreckminute als die Tochter
des Stadtdirektors identifizierte. Die beiden waren nur noch äußerst spärlich bekleidet
und fürchterlich beschäftigt! "Was soll das?" fragte Marlene tonlos - ohne
große Hoffnung auf eine Antwort. Sie bekam auch keine. Mario sah zwar zur Tür, blinzelte
zweimal und überließ sich dann wieder den Liebkosungen des Mädchens. "Ich sehe
schon, ich werde hier nicht gebraucht!" sagte Marlene in ihrer unnachahmlichen Art,
drehte sich herum und schlug lauter als nötig die Tür hinter sich zu. Aus den
Lautsprechern klang immer noch laut Samba pati!
Schluchzend fuhr Marlene - sämtliche Promillegrenzen ignorierend - zu
ihrer Stammkneipe. Sie rauschte durch die Tür, stürzte an den Tresen und bestellte mit
tränennassen Augen Whisky. "Whisky, Jannis, am besten eine ganze Flasche!" Und
schluchzte zum Gotterbarmen! "Mädchen! Was ist denn passiert ?" Der Wirt gab
ihr einen doppelten Whisky und redete auf sie ein. "Jetzt beruhige dich doch
mal!" Marlene kippte den Whisky, verlangte sofort nach einem weiteren, dann noch
einen. "Leg mir Samba pati auf!" murmelte sie und schluchzte, schluchzte.....
Jannis sah ein, dass es völlig sinnlos war, weiter nachzufragen. Er
suchte die Platte heraus, legte sie auf und gab ihr seufzend den Alkohol, wohl wissend,
dass der irgendwann seine Wirkung tun würde. Aber Marlene hörte nicht auf zu heulen. Sie
heulte noch, als die Sperrstunde schon lange verstrichen und Samba pati zum 50. Mal
erklungen war. Jannis rüttelte an ihren Armen. "Hör mal, sag mir jetzt, was los ist
- oder geh nach Hause! Ich muss zumachen, ich kriege sonst Ärger!"
Marlene sah nichts mehr vor lauter Tränen - naja, ein bisschen war auch
der Alkohol daran schuld. "Mich hat aber - auch wirklich - keine Sau lieb...."
stammelte sie zwischen tiefen Schluchzern, walzte sich irgendwie vom Stuhl und pendelte
gefährlich schwankend durch die Kneipentür. "Na, wenn das mal gut geht....."
Jannis kratze sich am Kopf, überlegte kurz - aber dann straffte er die Schultern und fing
an, den Tresen aufzuräumen.
Irgendwie ging es nicht gut!
Marlene erschien am nächsten Morgen nicht zur Arbeit, ging auch nicht ans
Telefon. Niemand wusste, wo sie war - und auch Mario blieb verschollen.
Aber die halbe Stadt zerriss sich das Maul!
Von einer zehn Kilometer langen Blutspur war die Rede, die Marlene hinter
sich hergezogen haben soll. Im Morgengrauen wollten Einige sie gesehen haben,
blutverschmiert und in völlig verwahrlosten Zustand. "Die hat versucht, sich
umzubringen!" Die Tuschelei hörte überhaupt nicht auf. Beim Bäcker, beim Metzger,
im Rathaus war von niemand anderer als Marlene die Rede und dem, was ihr zugestoßen war.
Mit dem Messer habe sie auf Mario eingestochen - und der habe sich dann blutend über den
Marktplatz geschleppt. Andere wollten Mario mit dem Messer gesehen haben - und Marlene auf
allen Vieren über den Marktplatz kriechend. Das einzige, was unübersehbar als Anzeichen
einer Katastrophe übrigblieb, war in der Tat die Blutspur, die leicht im Zickzack das
Marktpflaster bedeckte.
Arme Marlene!
Sie war aus der Kneipe gestürzt und hatte sich tatsächlich zu Fuß auf
den Heimweg gemacht. Nicht weil sie glaubte, sie könne nicht mehr fahren. Nein, sie hatte
ihr Auto nicht gefunden! Tatsächlich erreichte sie nach Stunden ihre Wohnung und
schleppte sich wirklich fast auf allen Vieren die Treppe hinauf. Wie sie es schaffte, den
Schlüssel ins Schloss zu balancieren, blieb ewig ein Geheimnis.
Drinnen lag Mario mit seiner Schönen immer noch auf dem Teppich - beide
nun allerdings schnarchend! Marlene wankte in die Küche und kramte ein Brotmesser aus der
Schublade. Dann weckte sie Mario - mit einem Fußtritt. Der wusste überhaupt nicht, wie
ihm geschah. Neben ihm lag die dünne Kleine - wie war die dahingekommen? - und vor ihm
stand wie eine Walküre Marlene. Die Haare wirr, das Make-up verschmiert - sie sah aus wie
ein Racheengel! Mario sah das Messer, erschrak und sprang auf. Dabei verlor er das
Gleichgewicht, versuchte noch, sich an Marlene festzuhalten - vergebens.
Beide stürzten zu Boden - und das Messer bohrte sich in Marlenes Arm.
Sie war zunächst etwas benommen, sah dann das Blut aus ihrem Unterarm
rinnen - und schrie wie von Sinnen. "Du gemeines ....., das machst Du nicht mir
mir.... Du hast ja schließlich die Trine hier angeschleppt, du mistiger alter....."
Marlene schluchzte schon wieder und stürzte - bar jeglichen Verstandes - aus der Wohnung.
Mario rieb sich den Rücken und stöhnte. Er musste eine Weile überlegen,
aber ganz allmählich dämmerte ihm, dass Marlene verletzt war und jetzt blutend durch den
sanft dämmernden Morgen geisterte! Plötzlich war er hellwach. Rasch zog er sich Hose und
Hemd an und rannte auf die Strasse. Da sah er schon die Blutstropfen, die zum Marktplatz
führten. Jetzt schlug ihm quälend das Gewissen, und er rannte keuchend zum Marktplatz
hinunter. Keine Spur von Marlene!
Doch! Hinten in der Telefonzelle stand sie und versuchte, zu Hause
anzurufen, weil die Wunde einfach nicht zu bluten aufhörte - und sie allmählich um ihr
Leben fürchtete. Zu ihren Füßen hatte sich eine große Lache gebildet....
Zum Glück war Mario wirklich praktisch veranlagt.
Er zog sein Hemd aus, wickelte es um Marlenes blutenden Arm, schleppte sie
hinter sich her zum Taxistand und brachte sie ins Krankenhaus. Die Wunde am Arm wurde
genäht, und Marlene blieb ein paar Tage am Tropf, weil sie soviel Blut verloren hatte.
Mario schickte den Stadtdirektorennachwuchs nach Hause, packte seine Sachen und zog wieder
in sein Appartement.
Als Marlene wieder arbeiten ging, hatte sie ein paar Kratzer auf der Seele
mehr - aber ihr freches Mundwerk nicht verloren! "Blutspur?" fragte sie nach,
wenn jemand sie darauf ansprach. "Was weiß ich!" Und auf die unvermeidlich
folgende Frage, ob sie sich denn wirklich wegen Mario habe umbringen wollen, antwortete
sie kess: "Hier steht ja schließlich nicht mein Geist! Ich lebe noch und das gern!
Ach, übrigens: Wer ist Mario?????"
Sie hat ihm dann doch noch ein wenig nachgetrauert. Mario hatte die Faxen
dick und suchte sich irgendwo in der Republik einen Job. Sie hatte nach all den Jahren
Mühe, sich wieder an das Single-Leben zu gewöhnen. Und sie schämte sich auch ein wenig.
Marlene begann eine Eierdiät, verlor auch ein paar Pfunde und verzichtete eine Weile auf
Kneipentouren und Whisky.
Aber Reue war Marlenes Sache nicht - jedenfalls nicht auf Dauer.... |