Andacht

Ich habe Muskelkater!! Weder das Fußbad, noch die heiße Dusche danach konnten das verhindern. Dabei wollten wir doch heute auf die Bergersee-Hütte steigen! "Lasst das lieber sein!", sagt Albert beim Frühstück, "das ist noch anstrengender!" (Als die Kohlröserlwiese!) Ich glaube ihm, aber ich bin nicht bereit, nur wegen eines Muskelkaters noch einen Ruhetag einzulegen. Also beschließen wir, auf die Gottschaunalm zu gehen.

"Nehmt den Fahrweg!", hat Albert uns eingebläut. Ich zögere zwar, als wir das Auto oberhalb von Marin parken, aber ich beuge mich jetzt doch meiner mangelnden Kondition. Fahrweg. Heute macht mir die Sonne zu schaffen. Der Himmel ist voller Wolken, aber durch ein Wolkenloch scheint die Sonne genau auf den Forstweg zur Gottschaunalm und damit auf mich. Ich schwitze.

Hannah stürmt voran. Sie hat sich Träumen hingegeben, ein Traktor könne sie mitnehmen - aber die Traktoren, die wir gesehen haben, fahren alle zu einer Holzfäll-Stelle, die nicht an unserem Weg liegt. Sie bekommt ihren Kick und fragt mich um Erlaubnis, alleine voranzugehen. Ich zögere. Sie insistiert! "Achte auf die Wegweiser!", schärfe ich ihr ein - und lasse sie gehen! Sie marschiert los, in Kürze sehe ich nichts mehr von ihr.

Ich schleppe mich in sengender Hitze um die Kehren des Forstwegs. Mir ist es zu heiß - überhaupt ist heute nicht mein Tag. Ich mache mir Sorgen um mein Kind, von dem ich nichts mehr sehe. Dann erreiche ich eine Weggabelung. Hoffentlich hat Hannah den richtigen Weg genommen! Ich beiße die Zähne zusammen und verschärfe mein Tempo. Keine Spur von ihr! So weit kann sie doch noch gar nicht sein! Endlich kommen mir Bergfreunde entgegen. Ich frage sie: "Haben sie ein Mädchen mit einem weißen Hut gesehen?" Sie lächeln entspannt: "Oh ja, die Kleine ist schon mindestens drei Kehren weiter!"

Ich schnaufe, mache eine Pause, und grantele. Dieses Kind! Wie oft habe ich es mühsam hinaufsprechen müssen, und nun kraxelt es alleine, als hätte es nie etwas anderes getan! Ich habe heute Mühe! Die Kohlröserlwiese steckt mir noch in den Knochen.

Auf der Bank am Abzweig vom Fahrweg sitze ich lange. Ich sehe den Weg, der steil über die Wiese hinaufgeht. Ich muss mich fürchterlich überwinden, aber es gelingt mir, mich wieder in Gang zu setzen. Ganz langsam über die Wiese hoch! Von meinem Kind keine Spur. Der Weg wird steiler. Ich kämpfe gegen die vielen Schweinehunde in meinem Kopf. Eigentlich möchte ich aufgeben. Aber da ist meine Tochter, die sicherlich schon oben ist! Als ich den letzten Rest über den Buckel kraxele, verlässt mich alles: Ich hechele wie kurz vor dem Exitus. Ich treibe mich selber an und staune wieder über meinen Ehrgeiz. Ich will die Hütte erreichen, koste es, was es wolle!

Als ich mich über den Grasbuckel schleppe und die Hütte vor meinen Augen auftaucht, ist es ein bisschen, als wäre der liebe Gott tatsächlich persönlich vorbeigekommen! Gottschaunalm!!

Von einem Kletterbaum winkt Hannah - sie ist schon seit einer halben Stunde da! "Mein Gott, hast du lange gebraucht", sagt sie - und ich weise sanft daraufhin, dass Mütter in der Regel älter und nicht so fit wie ihre Töchter sind! Ich brauche eine halbe Stunde, ehe ich das Idyll wirklich genießen kann. Wir schauen uns im Inneren des Hauses um. Ausgestopfte Murmeltiere, Steinböcke, Gämsen, Adler - na ja, diesen Tierpräparationen habe ich noch nie viel abgewinnen können! Aber da steht auch Kochgeschirr in Regalen, überhaupt steht da alles, was Almbauern in den vergangenen 50 Jahren jemals gebraucht haben könnten. Beeindruckend! Aus der Zeit von vor 50 Jahren stammt auch das Klo. Plumpsklosett! (Inzwischen ersetzt durch ein Wasserklosett.) Es stinkt bestialisch - und ich möchte nicht zu denen gehören, die die Klärgrube ausleeren müssen!

Ein Ehepaar aus dem Saarland treffen wir wieder - wir haben es zwei Tage zuvor beim Linder-Wirt gesehen! Die zwei kennen uns auch und begrüßen uns locker. Das ist uns auch mit anderen Leuten so gegangen - man hat sich gesehen und begrüßt sich, kommt manchmal auch ganz lässig ins Gespräch. Überhaupt gefällt mir die Sitte, Wanderern, die man unterwegs trifft, einen Gruß zuzurufen. Schweigend drücken sich fast nur Deutsche und Holländer aneinander vorbei. Aus meinen vielen Reisen in die Schweiz (nicht in Bergregionen!) habe ich noch das fröhliche "Grüezi" im Ohr, das dort auch jeder gerne ausspricht, wenn er anderen Menschen begegnet. 

Der Mann von der Saar kennt offenbar die Wirtin. Sie geht an Krücken und hat mir zuvor erzählt, wie ein Baum, den ihr Mann abholzte, sie fast erschlagen hätte. Langer Krankenhausaufenthalt - aber nun backt sie wieder die herrlichen Krapfen. Der Saarländer erbittet von ihr ein Akkordeon, das sie brav herbeibringt. Es ist etwas klein - aber trotzdem beginnt er zu spielen. "Che sará, sará". Der Kerl versteht sein Handwerk. Das nächste Stück ist der "Zillertaler Hochzeitsmarsch". Ich lasse den Blick über die vielen Gipfel ringsumher schweifen und kann überhaupt nicht verhindern, dass in mir Rührung aufsteigt. Ich muss mich - nicht zu fassen! - regelrecht anstrengen, um nicht loszuheulen. Plötzlich verstehe ich die Andacht, von der mir andere Besucher dieser Berggegend erzählt haben. Ich hatte dafür nur ein spöttisches Grinsen übrig - aber jetzt ist mir überhaupt nicht mehr nach Grinsen, auch nicht, als der Akkordeonspieler das "Kufstein-Lied" anstimmt. Später - bei "Lili Marleen" und "Susanna" singe ich mit!

Der Rückweg schlaucht vor allem die Muskeln unterhalb meiner Zehen - Abstiege auf Fahrwegen liegen mir nicht! Immer tun mir dabei die Füße weh!

Abends Bauerntheater im Mitterkratzerhof. "Zwoa harte Nuss'n" - das waren Mirzl, die Magd, und Loisl, der Knecht - die sich necken und stressen, aber am Schluss natürlich kriegen. Das Stück hat Längen, die sich vermeiden ließen - aber auch urkomische Stellen. Die Darstellerin der Mirzl ist ein wirkliches Naturtalent - und der alte "Isedor" auch. Sehr heitere Erfahrung - leider ist es in dem "Theatersaal" stickend heiß!

Zum 12. Tag

Tag11: 21.Juli

Der Kletterbaum

 

 

 

 

 

Gottschaunalm

 

 

Idylle pur

 

 

 

 

Mitterkratzerhof in Bichl